Wer hat das Recht?
Wer hat das Recht?
Das nachfolgende Gespräch mit Prof. Klaus Bosselmann, beleuchtet die Rolle des Rechts für Gesellschaften und die Einflüsse, Wandlungen denen es unterliegt.
Herr Prof. Bosselmann: "Wie sehen die Staaten das Thema Rechte der Natur bisher?"
Prof. Bosselmann: "Das ist nicht so einfach. Es gibt in der Schweiz einen Verfassungszusatz, der den Staat dazu verpflichtet, die Würde der Schöpfung zu schützen[1]. Als dieser Grundsatz mit einer Zweidrittel-Mehrheit angenommen wurde, hat die Schweizer Bundesregierung mit Hilfe eifriger Juristen sofort angefangen, diesen Verfassungszusatz zu kommentieren. Die Kommentare haben dann klar gestellt, dass dieser Verfassungszusatz nicht bedeutet, dass man keine Tiere mehr töten darf oder dass sich sonst irgendetwas grundlegend ändern muss. Die Kommentare haben dafür gesorgt, dass sich diese Verpflichtung nur auf die Biotechnologie und gentechnische Versuche bezieht."
Sind denn Juristen dem Staat gegenüber so willfährig?
Prof. Bosselmann: Juristen werden dazu ausgebildet, den Staatsbetrieb aufrechtzuerhalten. Wir lernen, dass es sich nur lohnt über Dinge nachzudenken, die im Parlament eine Mehrheit finden. Es braucht eine gewisse Radikalität oder eine unjuristische Denkweise um die „Rechte der Natur“ zu fordern oder in die Diskussion einzubringen. Peter Saladin, der für diesen Verfassungszusatz gekämpft hat, war so einer – genau wie Christopher Stone, der nach Deutschland kam, um in den 80er Jahren die berühmte Seehundklage vorzubereiten.[2] Man macht nur Fortschritte, wenn man auch bereit ist, sich als Jurist auch ein Stück lächerlich zu machen. Das schrieb schon Christopher Stone in seinem wichtigen Essay „Should trees have Standing?“ (Deutscher Titel: „Umwelt vor Gericht“.) Aber: Was heute lächerlich ist, kann morgen ganz normal sein. Früher war es lächerlich zu glauben, dass Sklaven oder Frauen die gleichen Rechte haben wie Weiße oder Männer. Das wurde sehr ernsthaft diskutiert. Dann kam es zu einem Paradigma Wechsel und beides wurde selbstverständlich. Heute fragen sie die Leute: „Wie konnte man jemals nur anders denken?“
Paradigmawechsel? Wie geht das?
Bosselmann: Wir wissen darüber inzwischen einiges. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn hat darüber geforscht und herausgefunden, dass wir uns, wenn es um unser Weltbild geht, nicht rational verhalten. Wir übernehmen Ideen, die wir - aus welchen Gründen auch immer - attraktiv finden.
Sei es aus emotionalen, ästhetischen oder spirituellen Gründen. Ein neues Paradigma entsteht, wenn neue Ideen auf Resonanz stoßen. Der Paradigma Wechsel kennt vier Stadien. In der ersten Phase wird das herrschende Weltbild in Frage gestellt. In der zweiten Phase macht man sich über das alte Paradigma lustig. In der Dritten kommt es zu einer Polarisierung und Politisierung. Die Gesellschaft ist gespalten. Und in der vierten Phase ist das neue Weltbild plötzlich vorherrschend und anerkannt. Und wer das alte Weltbild vertritt ist - „von gestern“.
Und wo stehen wir heute, wenn es um unsere Beziehung zur Natur geht. Wie weit sind wir von einem Paradigma Wechsel zugunsten eines ökologischen Weltbildes und Rechtssystems entfernt?
Bosselmann: Wir sind schon sehr lange in der Phase drei. Denn die ökologischen Realitäten können wir nicht leugnen. Doch obwohl unser Verstand sagt, dass wir nicht über der Natur stehen, verhalten wir uns noch immer anders. Heute geht es darum, diese neuen Tatsachen in unser System zu integrieren. Manchmal fehlt nur ein kleiner Anstoß, ein „NUDGING“ und ein neues Weltbild setzt sich durch. So war es auch mit dem Fall der Mauer. Die Wende hatte schon lange in den Köpfen der Entscheider und der Menschen stattgefunden. Der Mauerfall war dann nur noch das Ereignis, das diesen Wandel sichtbar machte.
Ist es das Recht, das neue Realitäten schafft oder ist ein neues Recht nicht vielmehr Ausdruck einer neuen gesellschaftlichen Realität?
Prof. Bosselmann: Die marxistische Sichtweise war und ist, dass das herrschende Recht immer das Recht der Herrschenden ist und die Kräfteverhältnisse wiederspiegelt. Und da ist bis heute etwas daran. Die „rule of law“, der „Rechtsstaat“ ist oft eine Fiktion. Die positivistische Rechtsaufassung geht davon aus, dass das geltende Recht, als das Recht das gesprochen wird, die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse verursacht. Und dann gibt es noch eine SYSTEMISCHE Sichtweise, die davon ausgeht, dass wir es mit einem dialektischen Prozess zu tun haben.
Das Recht kann nicht besser sein, als die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber es kann die Gesellschaft dennoch verändern. Es kann sogar führen. Die Patcha-Mama-Konstitutionen in einigen Ländern Lateinamerikas sind dafür ein Beispiel. Da geht das Recht der Realität voraus. Der Artikel 20 a des Deutschen Grundgesetzes sind dafür auch Beispiele. Er verpflichtet den deutschen Staat die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.[3] Viele denken nicht daran, und machen erst mal wie gewohnt weiter. Aber wenn es dann zu Ereignissen kommt, die dazu führen, dass der ethische Gehalt dieser Grundsätze plötzlich Gewicht bekommt und dass die Gesellschaft sich verändert - ich denke da z.B. an die Folgen des Klimawandels – dann kann es dazu kommen, dass solche Grundsätze plötzlich ernst genommen und mit Leben erfüllt werden.
[1] Die Würde der Kreatur wird seit 1992 in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft garantiert. Allgemeiner fand die Würde der Kreatur am durch eine Volksabstimmung am 17. Mai 1992 Eingang in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter Artikel 24 Absatz 3. Seit 1999 lautet Artikel 120 Abs. 2 der Bundesverfassung wortgleich: „Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten.“ Die Schweiz ist das einzige Land in Europa mit einer solchen Verfassungsnorm zur Würde der Pflanze.
[2] 1988 wurde in Hamburg im Namen der Seehunde eine Klage gegen Verkehrsminister Warnke verhandelt, um das Verklappen von giftigen Abfällen in der Nordsee zu verhindern. Die Klage war von den acht größten Naturschutzverbänden eingereicht werden. Voraussetzung für die Zulassung der Klage, war, dass Seehunde keine Sache sind, sondern Rechte haben, die in ihrem Namen eingeklagt werden können. Siehe DER SPIEGEL, Nr. 37/1988 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13529600.html
[3] Deutsches Grundgesetz Art. 20a: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.