Was sich am Fleisch entscheidet
Für eine Ethik der Achtsamkeit
„Menschen lernen am Beispiel der industriellen Tiervernichtung verschiedene irratonale Mechanismen der Verdrängung, Verzerrung und des Selbstbetrugs, die sie dann auch in anderen Bereichen der Gesellschaft anwenden. Die konstitutive Rolle der Tierindustrie und des Konsums von tierischen Körpern ist in diesem Prozess bislang nicht richtig erkannt worden. Dabei ist es von größter Dringlichkeit, zu sehen, dass das Problem der Tiervernichtung nicht eines unter vielen ist, sondern den Kern dessen darstellt, was an Übeln die Gesellschaft plagt.“
Hagendorffs These lautet: An unserem Verhalten gegenüber Tieren offenbart sich unser Charakter. Mit einer erschlagenden Zahl an Belegen aus verschiedenen Studien begründet er seine These, dass es einen engen Zusammenhang zwischen unserer Haltung gegenüber Tieren und unserer Fähigkeit, in Frieden mit anderen Menschen zu leben, gibt. Wer brutal zu Tieren ist oder negiert, dass Tiere empfindungsfähige Mitgeschöpfe sind, ist überdurchschnittlich verroht, neigt zu Diskriminierung, Gewalt und Dominanzgehabe und ist – mit hoher Wahrscheinlichkeit – ein Mann. Denn alle Studien belegen: Der weibliche Teil der Bevölkerung ist mit einer mitfühlenderen Haltung gegenüber Tieren und Menschen ausgestattet.
Dass der Verzehr von Fleisch darüber hinaus ungesund ist, dass ohne Verzicht auf Fleisch der Klimawandel und die Zerstörung der Biodiversität nicht zu stoppen sind und dass der Fleischkonsum einer nachhaltigen Ernährung der Weltbevölkerung im Wege steht, sind weitere Aspekte dieses Themas, die Hagendorffs Buch kompetent belegt. Aber sie stehen nicht im Zentrum seiner Argumentation.
Hagendorffs Ziel ist eine friedliche Gesellschaft, die sich gewissermaßen zwangsläufig als ein „Nebenprodukt“ der Lösung der Tierfrage ergibt.
Seine „Ethik der Achtsamkeit“, die er als Lösungsansatz entwickelt, ist eine Abkehr von den derzeit noch dominanten ethischen Maximen, die auf dem Konstrukt autonomer Persönlichkeiten beruhen und daraus Freiheitsrechte ableiten. Hagendorff fordert – wie auch Andreas Weber in seinem Buch „Indigenialität“ – eine Beziehungsethik. Eine Ethik der Verantwortung.
Seine Ethik der Achtsamkeit anerkennt, dass alles, was lebt, vom Gedeihen und Wohlwollen alles anderen Lebens abhängt, das es umgibt und „nur“ ein Teil von ihm ist.
Die Ethik der Achtsamkeit fordert von uns auch dann achtsam und fürsorglich zu sein, wenn wir keinerlei Gegenleistung erwarten dürfen. Sie erfordert eine Haltung der Mütterlichkeit und Sorge und schließt daher hierarchische Strukturen nicht aus.
Träger einer solchen (stillen) Revolution von unten sind Individuen, die sich für den Veganismus entscheiden. Eine gesellschaftliche Praxis, die allerdings auch so lange einsam und manchmal auch unglücklich machen kann, wie es der gesellschaftlichen „Normalität“ gefällt, dass sich Männlichkeit, Dazugehörigkeit, Status und Dominanz in Tapferkeit gegenüber Kassler, Nackensteak, Weißwurst und Frikadelle feiern lässt.
Hagendorff fordert uns auf, unsere Macht, Frieden zu schaffen, durch einen simplen Akt des Neinsagens und der Opposition in der Fleischfrage zu nutzen.
Thilo Hagendorff, 290 Seiten, 14,5 x 20,5 cm, Klappenbroschur
ISBN 978-3-96317-237-3 (Print) 18,00 € (Print)
ISBN 978-3-96317-774-3 (ePDF) 13,99 € (ePDF)
ISBN 978-3-96317-775-0 (ePUB) 13,99 € (ePUB)
© Büchner-Verlag, Marburg, erschienen am 24. Februar 2021.
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