Überlebensinteressen der Natur durchsetzen
Überlebensinteressen der Natur gegen den Menschen durchsetzen
Mit seiner Grundsatzrede sprach sich Dr. Georg Winter im Nürnberger Rathaus für die Rechte der Natur aus, und konkretisiere seine Vorschläge zur Umsetzung. Hier einige Auszüge. Die Rede steht hier und am Ende des Textes zu Verfügung:
Dr. Georg Winter:
"Es ist ein Unterschied, ob wir in dem Umweltschutz lediglich ein Korrektiv für die freie Entfaltung der Aktivitäten des Menschen sehen, oder ob wir aus der Überzeugung handeln, dass die Lebewesen in ihrer Gesamtheit gegen uns einen Rechtsanspruch auf Durchsetzung ihres Überlebensinteresses bei der demokratischen Willensbildung haben, der vom Menschen vertretungsweise wahrgenommen werden muss. Nur im zweiten Falle werden wir die für die Verwirklichung der Nachhaltigkeit erforderliche gesellschaftliche Dynamik entwickeln.
Die Entfremdung der menschlichen Zivilisation von den natürlichen Lebensgrundlagen hat sich beschleunigt. Heute gibt es zwei Handlungspfade: Der eine führt zur Selbstauslöschung der Menschheit, zumindest ihres größten Teils, und zur Wiederherstellung eines natürlichen Gleichgewichts ohne Beteiligung des Menschen. Der andere Weg ermöglicht eine nachhaltige Wiedereingliederung der Zivilisation des Menschen in die Natur.
Grundsätzlich verdient die Natur als Schöpfung um ihrer selbst willen Achtung und Schutz. Umso überzeugter schützen wir sie, wenn wir wissen, dass wir dadurch auch uns selbst schützen.
In einigen frühen geschichtlichen Epochen war es üblich, Sklaven wie bewegliche Sachen zu behandeln. Erst als sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass alle Menschen grundsätzlich gleichberechtigt seien und damit auch Sklaven, gelang es, die Sklaverei zu beseitigen.
Entsprechend wird die Menschheit ihr Handeln gegenüber der belebten Natur erst dann grundlegend ändern, wenn die Rechte der Natur – einschließlich individueller Lebewesen, Arten und Biotope – von den Vereinten Nationen und den nationalen Verfassungen offiziell anerkannt werden. Erst mit einer solchen Einstellungsänderung wird es gelingen, der Menschheit jene Rücksichtnahme gegenüber der belebten Natur abzuverlangen, welche die Natur um ihrer selbst willen verdient und die eine Voraussetzung für das Überleben der Menschheit selbst ist.
Konkrete Ansatzpunkte für die Umsetzung
Der Artikel 20a des Grundgesetzes und das Verbandsklagerecht ermöglichst es im Prinzip heute schon, dass Umwelt-, Naturschutz-, Tierschutz- und weitere Verbände sich so verhalten, als ob die Natur bereits eigene Rechte hätte. Weiter Optionen zur Durchsetzung der Rechte der Natur sind:
- der Umweltminister erhält bei ökologierelevanten Kabinettsentscheidungen ein Vetorecht
- dem Bundespräsidenten wird ein ökologisches Fachgremium beigeordnet, dessen Rat er bei seiner materiellen Gesetzesprüfung berücksichtigen muss
- wir errichten ein Zwei-Kammer-System: Es gibt eine Kammer, die die sozioökonomischen Belange repräsentiert und eine zweite Kammer, die die bioökologischen Belange repräsentiert.
In der Praxis und bei der Abwägung der Interessen liegt der Teufel im Detail: Es gibt noch viel zu tun
Ich gebe einige Beispiele: Sollten Tierversuche für die Entwicklung lebensrettender Medikamente notwendig sein, so halte ich sie – bei artgerechter Haltung der für die Versuche vorgesehenen Tiere – für akzeptabel. Die Optimierung von Kosmetika ist jedoch als Versuchszweck nicht ausreichend gewichtig, um die Tötung von Tieren in Versuchsreihen zu rechtfertigen.
Für Ernährungszwecke vertretbar ist die - möglichst schmerzfreie - Tötung von Tieren, die in artgerechter Tierhaltung mit Artgenossen eine passable Zeit zusammen lebten. Der Zweck der menschlichen Ernährung ist jedoch keine ausreichende Rechtfertigung dafür, dass Tiere in der Massentierhaltung in qualvoller Enge in einem kurzen Leben – das keines ist – ihrem Tode entgegengemästet werden. Ich vermeide das Wort „Schlachttiere“, da es von entlarvender Herzlosigkeit ist, Lebewesen durch den Tötungszweck zu definieren.
Das Fangen von Haien zur Ganzkörperverwertung im Rahmen verantwortlicher Fangquoten ist zu bejahen, dagegen nicht die Tötung von Haien zur bloßen Gewinnung der als Delikatesse geltenden Flossen.
Abwägungsbeispiele, wie z.B. die Frage, wie wir mit dem Wolf umgehen, zeigen, dass der Teufel häufig im Detail sitzt. Auch wenn Rechte der Natur anerkannt werden, sind noch nicht alle rechtlichen Probleme gelöst. Die Juristen haben das beruhigende Gefühl, dass sie so schnell nicht überflüssig werden.
Sicher ist: Rechte der Natur würden die öffentliche Unterstützung verlieren, würden sie mit Kompromissen bei der öffentlichen Sicherheit erkauft.
Der Staat darf Risiken, die möglicherweise durch seine Umweltorientierung geschaffenen wurden, nicht auf seine Bürger abwälzen. Andererseits kann den Bürgern – nach dem Vigilanz-Prinzip - eine gewisse Aufmerksamkeit abverlangt werden.
Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen wir auch an uns selber arbeiten
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die deutschen Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahre 2020 um 40% gegenüber denen des Jahres 1990 zu senken. Gleichwohl wird gegenwärtig befürchtet, dass die Bundesrepublik ihre Treibhausgas-Emissionen gegenüber denjenigen von 1990 um lediglich 30% senken wird.
In Deutschland, Europa und der Welt demonstrieren die Umweltschutzorganisationen in einem bisher noch nicht beobachteten Umfang für die Erreichung eines anspruchsvollen Klimaschutzzieles. Ihre Forderungen gewinnen zusätzlich Nachdruck und Legitimität dadurch, dass sie sich auf unveräußerliche Menschenrechte und Rechte der Natur berufen können.
Anspruchsvolle Umweltschutzziele werden sich ohne eine innenweltbewusste Lebensführung kaum erreichen lassen. Wir alle müssen stets auch an uns selbst arbeiten."
Das vollständige Redemanuskript Dr. Georg Winter.