Landgericht Erfurt: Nach EU-Recht hat die Natur Rechte
Landgericht Erfurt schreibt deutsche Rechtsgeschichte
Dr. Andreas Gutmann und Jenny Garcia Ruales weisen in ihrem Beitrag darauf hin, dass es das erste Mal sein dürfte, dass Rechte der Natur Gegenstand einer mündlichen Verhandlung vor einem deutschen Gericht waren. Erfolglos waren jedenfalls die Versuche, Rechte der Natur aus dem bestehenden Recht abzuleiten. Im Jahre 1988 hatte das VG Hamburg einen gegen die Genehmigung von Abfallverklappung auf hoher See gerichteten Antrag der Robben der Nordsee zurückgewiesen. 2021 nahm das Bundesverfassungsgericht eine von PETA angestrengte Verfassungsbeschwerde männlicher Ferkel nicht an. Begründet wurde die Ablehnung Bundesverfassungsgericht nicht.
Rechte der Natur in der Grundrechtecharta?
Das Landgericht Erfurt betritt nach Ansicht der AutorInnen Neuland. Zitat: "Das Gericht hatte den Aspekt der Rechte der Natur bereits in den Vorlagebeschlüssen an den EuGH thematisiert und umfassend begründet (hier und hier). Es ist der Überzeugung, dass sich solche Rechte bereits de lege lata aus der EU-Grundrechtecharta herauslesen lassen, selbst wenn das Thema – wie der Richter zu Beginn der Verhandlung einräumte – möglicherweise „esoterisch“ klingen möge."
Der Richter argumentierte, dass die Grundrechtecharta in den unionsrechtlich determinierten Dieselfällen anwendbar sei. Die von der EU-Grundrechtecharta gewährten Grundrechte seien – so der Richter, „ihrem Wesen nach auf die Natur und einzelne Ökosysteme – ökologische Personen – anwendbar“ (Rn. 21). Hierfür spreche neben der Dringlichkeit der ökologischen Krise auch Art. 37 GrCH, der ein hohes Umweltschutzniveau fordert (Rn. 21). Und: "Der Begriff der „Person“, wie ihn die Charta verwendet, könne auch ökologische Personen umfassen (Rn. 35 ff.). Der Richter schließt sich damit der Auslegung der EU-Grundrechtecharta von Prof. Fischer-Lescano (Kassel) an.
Obwohl das LG Erfurt seine Überlegungen in eine globale Entwicklung (Übersicht bei Putzer et al.) einordnet, ist der Fall, nach Einschätzung von Gutmann/Ruales innerhalb des Trends zu Rechten der Natur außergewöhnlich. Denn bisher wurde einzelnen Ökosystemen wie Flüssen oder Wäldern, die von Umweltschädigungen betroffen sind Rechte zugesprochen.
Im Erfurter Gerichtssaal werden der Natur - nach Einschätzung der beiden Rechtsexpertinnen, gewissermaßen "durch die Hintertür" Rechte zustanden. Solche Auswirkungen der Rechte der Natur auf privatrechtliche Beziehungen wurden, so Gutmann und Ruales, bislang weder von Gerichten noch von der Wissenschaft bearbeitet. Letztlich halten sie es aber für konsequent, dass die Rechte der Natur so begründet werden.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kassel Institute for Sustainability der Universität Kassel.
ist Doktorandin an der Universität Marburg und dem Max-Planck-Institute für Sozial-Anthropologie.