Indi-genial: Andreas Weber Plädoyer für eine Kosmologie der Lebendigkeit
Wir haben viel zu gewinnen: Lebendigkeit
Weber zeigt auf nach welchen Prinzipien die Menschheit leben und handeln sollte, um in das Paradies zurückzukehren, aus dem der Mensch sich selbst vertrieben hat und immer noch vertreibt. Vor allem die Trennung zwischen Subjekt und Objekt lässt uns – so Weber - die Welt als feindlich und tot erscheinen und erklärt, warum wir das Gefühl verloren haben, mit allem was ist, in Beziehung zu sein.
Andreas Weber gelingt es immer wieder mit wenigen Worten etwas zum Klingen zu bringen, das wir für unsere Lebendigkeit so dringend brauchen. Wer Webers Botschaft, die er in einer ebenso präzisen wie poetischen Sprache formuliert, für „Romantik“ oder für „unwissenschaftlich“ hält verabsolutiert eine Weltsicht, die nur einen möglichen Zugang zur Wirklichkeit kennt und erlaubt.
Naturwissenschaften sind nur ein Zugang Welt zu erkennen
Dass nur rationale, naturwissenschaftlich-technische Betrachtungen und Methoden den richtigen Zugang zur Welt sind, kritisierten auch u.a. Thomas S. Kuhn oder Paul Feyerabend. Sie veröffentlichten in den 70er und 80er Jahren Forschungsergebnisse, die belegen, dass es neben der Wissenschaft natürlich auch andere Weltzugänge gibt, die uns Erkenntnis ermöglichen. Und sie stellen klar, dass diesen Weltzugängen keine feste Wertigkeit zugeordnet werden kann, da sie meist inkommensurabel sind, folglich nicht übersetzbar und schon gar nicht mit den Methoden der Naturwissenschaften zu messen.
So wenig, wie Blinde über die Farbe reden können, die wir sehen, und es selbstverständlich dennoch tun dürfen, macht es Sinn, dass wir die Existenz anderer Welterfahrungen leugnen, nur weil wir sie bisher nicht selber erfahren haben oder messen können. Die jeweils konsensfähige Wahrheit entsteht zwar zwischen den Menschen, aber sie ist dennoch auch immer nur der kleinste gemeinsame Nenner. Webers Plädoyer die Innenwelt und die Erfahrung "mit allem in Beziehung zu sein" als Realität anzuerkennen, ist geeignet die zerstörerische Kraft der instrumentellen Vernunft zu bändigen.
Die Instrumentelle Vernunft ist am Ende
Den Zusammenhang zwischen der Verabsolutierung des naturwissenschaftlich-technischen Weltbildes und der zerstörerischen Herrschaft des Geldes über die Welt war auch Gegenstand der "Dialektik der Aufklärung" einem der Hauptwerke der kritischen Theorie. Horkheimer und Adorno unterziehen den Vernunftbegriff der Aufklärung eine radikale Kritik. Die zerstörerische Kraft des Kapitalismus und autoritärer Gesellschaftsformen waren für sie Folge einer Vorherrschaft „instrumentellen Vernunft“, die in einer totalitäre Herrschaft über die Natur (innen und außen) mündet. Dieser „universelle Selbstzerstörungsprozess der Aufklärung“ kann ihrer Ansicht nach, nur durch eine fundierte Selbstkritik der Aufklärung Einhalt geboten werden.
Eine Kosmologie des "in Beziehung seins"
Andreas Weber macht genau das. Er unterzieht das vorherrschen Weltbild und Naturverhältnis (Naturverlust) einer fundierten Kritik und setzt ihr einen Weltzugang entgegen, der sehr politisch ist, weil seine Kosmologie des „in Beziehung seins“ nicht nur die Natur als natura naturata und natura naturans meint, sondern auch unser soziales in Beziehung sein als conditio sine qua non umfasst. Ein indi-geniales in der Welt sein, bedeutet für ihn: Handle so, dass Lebendigkeit sei. So wirst du selbst zur Wirklichkeit. Schenke Leben.
Bedingungsloses Grundwillkommen und ehrenvolle Ernte
Ganz konkret bedeutet dies auch: Weil wir einander und die Natur brauchen, müssen wir stets so handeln, dass es beziehungs- und lebensförderlich ist. Weber fordert ein „bedingungsloses Grundwillkommen“, eine Wirtschaft, die auf dem Prinzip der Allmende beruht und das Befolgen der Regeln der „Ehrenvolle Ernte“, in denen Grundsätze wie: „Nimm nur was Du brauchst“, oder „Nimm nie mehr als die Hälfte. Lass etwas für die anderen zurück. Benutze, was Du bekommen hast, mit Achtung. Verschwende niemals, was Du genommen hast. Und: Wisse die Gepflogenheiten derer, die für dich sorgen, so dass du für sie sorgen kannst!“ formuliert sind. Nachhaltigkeit pur.
Ein Gegenentwurf, in dem der Natur niemand einen Schaden zufügen würde
Mit diesem Entwurf einer indi-genialen Kosmologie ermöglicht Andreas Weber einen sehr überzeugenden und verführerischen Gegenentwurf zu unserer Gegenwart. Und er liefert unendlich wertvolle Hinweise, wie wir unser Naturverhältnis und damit auch unser Weltverhältnis und alle unseren Beziehungen (vor allem auch die sozialen und wirtschaftlichen) heilen können und ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte aufschlagen können. Ein liebevolles Miteinander und in Beziehung sein – zu unserer eigenen Natur – zueinander und zu allem was lebt. Wer diesen Weg beschreitet hat viel zu gewinnen: Seine eigene Lebendigkeit.
Indigene Völker und die Rechte der Natur
Auch wenn Weber die Rechte der Natur in seinem Buch nicht explizit anspricht: Dass in einer von Indigenialität beseelten Welt der Natur kein Schaden zugefügt wird, versteht sich von selbst. Solange allerdings der Wert von Subjekten und Objekten sowie ihr Recht auf Leben und Entwicklung durch ihre Stellung im Recht definiert wird bleibt die Anerkennung der Rechte der Natur einer der wichtigsten Meilensteine, um die Natur vor der vorherrschenden instrumentellen Vernunft zu schützen. Dass diese Einschätzung gerade auch von indigenen Völkern geteilt wird, belegen die vielen Aktivistinnen und Initiativen, die überall auf der Welt von indigenen Völkern vorangetrieben werden. Denn natürlich ist es kein Zufall, dass die einzige Verfassung, die die Rechte der Natur (Patcha Mama) explizit anerkennt, die Verfassung Ecuadors ist. Und das dies allein den dort lebenden indigenen Völkern zu verdanken ist.
Christine Ax
A. Weber Indigenialität, ISBN 978-3-96476-010-4, Nicolai Publishing & Intelligence GmbH, Berlin
116 Seiten, 20 Euro
https://nicolai-publishing.com/products/indigenialitat