Rechte der Natur: Die Natur klagt ab sofort mit. Urteilsverkündung am Landgericht Erfurt schreibt Rechtsgeschichte

Pressemitteilung

Am Landgericht Erfurt wurde von Richter Dr. Martin Borowsky erstmals in Deutschland auch im Namen der Natur  Recht gesprochen.
Richter Dr. Martin Borowsky bei der Urteilsverkündung am Landgericht Erfurt

Ende letzter Woche wurde am Landgericht Erfurt von Richter am Landgericht Dr. Martin Borowsky erstmals in Deutschland auch im Namen der Natur Recht gesprochen. Auch wenn es „nur“ um überschaubare Ansprüche eines Autokäufers in Sachen „Dieselskandal“ ging, hat das Urteil große Bedeutung. Es ist ein wichtiger erster Schritt zur Anerkennung der Rechte der Natur in Deutschland auf dem Wege des „Richterrechts“.

Der Richter ist seit seiner Mitwirkung im Grundrechtekonvent im Jahr 2000 in Brüssel ein anerkannter Experte für die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Er kommentiert den ersten Titel der Charta zur Würde des Menschen und unterrichtet Europarecht in Erfurt sowie in Batumi/Georgien.

Sein Urteil: Bereits aus dem aktuell geltenden Recht, nämlich der Grundrechtecharta lassen sich Eigenrechte der Natur ableiten. Dr. jur. Peter Mohr, Vorstand des Netzwerkes Rechte der Natur e.V.: „Das Urteil des LG Erfurt erkennt als erstes deutsches Gericht Eigenrechte der Natur an. Das Urteil leitet aus dem europäischen Recht ein subjektives Recht der Natur als Person ab. Das ist aus mehreren Gründen besonders bedeutsam. Zum einen werden die bisherigen Entscheidungen des BVerfG zum Klimaschutz erweitert. Die Natur ist nicht Objekt, sondern Subjekt mit einem eigenen Geltungsanspruch auf Schutz. Dieses gilt unabhängig davon, ob eine Partei es geltend macht. Es gilt im Privatrecht und im öffentlichen Recht und damit umfassend. Es gilt neben den Menschenrechten auch zum Schutz des Menschen. Das Urteil wird der Natur bei Zielkonflikten einen größeren Wert geben.“ Christine Ax, Netzwerk Rechte der Natur: „Dieses Urteil bestätigt unsere Annahme, dass der von vielen Rechtsexperten und anderen WissenschaftlerInnen als notwendig angesehene Schritt der Anerkennung der Rechte der Natur nicht aufzuhalten sein wird. Wir freuen uns, dass der erste Schritt, den Rechten der Natur auch in Deutschland den Weg zu ebnen, durch Richterrecht erfolgt. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber dies als Ermutigung begreift, diesen roten Faden aufzugreifen.“

Informationen zum Urteil

Das Urteil des LG Erfurt hat das Aktenzeichen: 8 O 1373/21.

Links: https://openjur.de/u/2492578.html und https://landesrecht.thueringen.de/bsth/document/NJRE001582361

Die Begründung

Der Erfurter Richter argumentiert in seinem Urteil wie folgt: „Eigenrechte der Natur treten schutzverstärkend hinzu, die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben. Diese Rechte der Natur sind - wie in zahlreichen anderen Rechtsordnungen, etwa in Südamerika - von Amts wegen und unabhängig von entsprechendem Vortrag der Parteien oder einer ausdrücklichen Berufung hierauf zu berücksichtigen.“Der Fall müsse aus der Perspektive des EU-Rechtes entschieden werden, deren Grundlage die EU-Grundrechtecharta ist, die stets mit zu bedenken sei. Diese Grundrechte seien ihrem Wesen nach auf die Natur oder einzelne Ökosysteme – ökologische Personen – anwendbar. Aus der Charta ergibt sich, so das Urteil, das „umfassende Recht ökologischer Personen, dass ihre Existenz, ihr Erhalt und die Regenerierung ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktionen und Entwicklungsprozesse geachtet und geschützt werden.“

Denn sowohl die Charta als auch die Menschenrechtskonvention der EU sind als „lebendige“ Rechtsinstrumente konzipiert und sollen auf neue Entwicklungen und Gefahrenlagen angemessen reagieren. Die Rechte der Natur, so der Richter, tun genau dies: Sie sind die notwendige Antwort auf die Gefährdungslagen der Gegenwart. Die Wichtigkeit und die Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen, wie Klimawandel, Artensterben und Globalvermüllung und deren irreversible Schäden, würden dies gebieten. Die Präambel der Charta betone die Verantwortung und die Pflichten gegenüber den Mitmenschen und der menschlichen Gemeinschaft und künftigen Generationen. „Nach Art. 37 der Charta müssen zudem ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden. Diesem wesentlichen Ziel der Union dient die Anerkennung von Eigenrechten der Natur.“ Der Personenbegriff der Charta sei unbestimmt und deutungsoffen gehalten worden.

Borowsky: „Im ersten Titel der Charta mit den fundamentalen Rechten wird im ursprünglichen deutschen Text wie in zahlreichen weiteren Sprachfassungen nicht der Begriff „Mensch“, vielmehr der deutungsoffene Begriff „Person“ („personne“) verwandt. Das englische „everyone“ kann dem gleichgestellt werden. Da fundamentale Rechte wie das Recht auf Leben in Art. 2 der Charta nicht juristischen Personen zukommen, liegt der überschießende Wert, der Mehrwert des Begriffs „Person“ darin, neben dem Menschen ökologische Personen zu achten und zu schützen.“ Mit diesem Schritt, so der Richter, wird „Waffengleichheit“ hergestellt.

Borowsky, der sich europaweit als Rechtsexperte für Menschenrechtsfragen einen Namen gemacht hat, geht davon aus, dass die Garantie der Menschenwürde der Anerkennung der Rechte der Natur nicht entgegensteht, sondern diesen Schritt sogar verlangt. Denn die Anerkennung von Eigenrechten der Natur trage dazu bei, dass Menschen auch in Zukunft ein freies und selbstbestimmtes Leben in Würde führen können.

Auch die internationale Rechtsprechung und rechtsvergleichende Aspekte lassen, so Borowsky in diesem Urteil, diesen Schluss zu. Die Rechte der Natur wurden im globalen Süden, aber auch in den USA oder in Neuseeland, sei es qua Verfassung, sei es durch Einzelgesetzgebung, sei es durch Richterrecht, anerkannt und durchgesetzt.

Vor diesem Hintergrund geht Martin Borowsky davon aus, dass es rechtsdogmatisch gerechtfertigt ist, richterrechtlich Eigenrechten der Natur auch in Europa Wirkmacht zu verleihen. Hierbei könne dem Beispiel Kolumbiens oder Perus gefolgt werden, in denen auch ohne einschlägige Gesetzgebung Richter die Rechte der Natur aus einer Gesamtschau ihrer Rechtsordnungen abgeleitet haben.

Pressekontakt und weitere Informationen:

Netzwerk Rechte der Natur e.V.
Christine Ax
Am Stadtfeld 31
25840 Friedrichstadt

+49 ​(0) 151 ​26691150
info@rechte-der-natur.de, christine.ax@rechte-der-natur.de
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