Buchempfehlung: Welche Rechte braucht die Natur? Wege aus dem Artensterben
Welche Rechte braucht die Natur?
Die Stärke des Buches liegt genau in diesem Vorgehen: Der Sammelband liefert Einblicke und umfassende Informationen über das Pro- und Kontra in Sachen Eigenrechte der Natur. Er tut dies aus vielfältigen Perspektiven. Das Buch ist ein sehr guter Einstieg in die Diskussion und liefert viele Literaturhinweise, für alle, die das Thema tiefer durchdringen wollen. Das Buch gibt einen Überblick über die Bandbreite der wissenschaftlichen Disziplinen mit Einflüssen auf diese Frage und stellt Begründungs- und Ablehnungsperspektiven aus , der aktuellen Diskussion .
Darüber hinaus erscheint der Band zum richtigen Zeitpunkt, denn nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Zivilgesellschaft ist das Thema angekommen, wie sowohl die Bayerische Initiative für das Volksbegehren Rechte der Natur als auch die Initiative zur Grundgesetzreform vom Netzwerk Rechte der Natur beweisen.
Da es unmöglich ist, alle Beiträge im Rahmen dieser Besprechung zu würdigen, wird hier (link) dennoch kurz auf drei Aufsätze eingegangen.
Mathias Glaubrecht
Autor des Buches „Das Ende der Evolution“ macht den Aufschlag. Er führt uns mit vielen Fakten die Dringlichkeit des Biodiversitätsschutzes vor Augen und hält als Ausweg eine kumulative kulturelle Evolution für möglich.
Denn das antrophozäne Artensterben münde zwangsläufig in eine biologische Krise des Lebens. Zitat: „Klar ist: Wir brauchen neue globale Regeln zum Schutz einer vielfältigen und lebendigen Um- und Mitwelt. In diesem Zusammenhang unverzichtbar ist einerseits das Bemühen um ein neues Verständnis von Natur und andererseits die Suche nach neuen, auch juristischen Wegen des Schutzes, etwa im Zuge der unten noch zu besprechenden Rechte der Natur. Beides aber wird nur gelingen, wenn der Homo Sapiens seinem Namen endlich alle Ehre macht; wenn er seine Fähigkeit und intellektuelle Stärke zur Bewältigung komplexer Probleme ausspielt, um diesmal in weltweit kooperativer Weise Lösungen zu finden. Zwar steht uns unsere ureigene erste Natur, unser biologisches Erbe und unsere evolutive Vergangenheit im Weg, um aus der gegenwärtigen Misere herauszufinden. Dabei hilft uns allein die zweite Natur, unsere anerzogenen und erlernten Verhaltensweisen im sozialen Miteinander, nicht. Doch durch eine viel schnellere als die biologische Evolution kann es gelingen. Kumulative kulturelle Evolution, eine Art dritte oder Vernunft-Natur des Menschen, heißt deshalb die Lösung der menschengemachten Probleme, für die sich die Menschheit einmal mehr ändern muss.“
Glaubrecht geht davon aus, dass diese Übung gelingen könne, weil es der Menschheit nach der Sesshaftwerdung, also dem Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur Agrikultur, schon einmal gelungen ist. Glaubrecht „Tatsächlich brauchen wir ganz ohne Religion, ganz irdische neue Gebote - wie etwa: Du sollst dich nicht maßlos vermehren oder zu viel Fleisch essen, Du sollst nicht sämtliche Ressourcen sinnlos verbrauchen.“ (S. 41). Glaubrecht spricht sich für die Einführung von „Naturgrundrechten“ aus, die auf einem erweiterten und in Teilen durchaus neuen Verständnis von Natur, Biodiversität und Ökologie beruhen, und den Menschen als Teil der Natur verstehen. Zitat: „Dazu bedarf es indes eines weitaus intensiveren öffentlichen Diskurses über das grundlegende Verhältnis des Menschen zur Natur, von Umwelt als Mit-Welt, von der wir zukünftig noch viel mehr unter Schutz stellen müssen. Was wir dagegen derzeit betreiben, ist ein Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit. Wir vernichten die Produkte der Evolution der Vergangenheit, ohne die aber die Lebensräume der Erde keine Zukunft haben werden. Wenn wir dies fortsetzen, wäre es tatsächlich das Ende der Evolution, wie wir sie kennen. Das Leben wird andere Wege einschlagen, sehr wahrscheinlich dann aber ohne uns.“ (S. 46).
Prof. Dr. Bernd Ladewig,
der Politische Theorie und Philosophie an der FU Berlin lehrt, geht der Frage nach, ob es moralisch zwingende Gründe für die Anerkennung der Rechte der Natur gibt. Dies tut er aus einer individualistischen und moralphilosophischen Perspektive. Denn die sich „innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltende menschliche Persönlichkeit und ihre Würde“ stehe unter dem ganz besonderen Schutz des Grundgesetzes. Zitat: „Damit ist dreierlei gesagt: Der Rechtsordnung liegen (a) moralische Wertungen zugrunde, die (b) auf einem normativen Individualismus zugeschnitten sind, der aber (c) kein Atomismus ist, sondern individuelle Freiheit mit sozialer Gemeinschaft verknüpft.“
Während Ladewig zu dem Schluss kommt, dass Eigenrechte für Tiere diese Kriterien erfüllen, und dass man Tieren einen moralisch zwingenden Eigenwert zugestehen müsse, weil sie als Individuen empfindungs- und bewußtseinsfähig sind, und über die Fähigkeit verfügen, ihrem Leben einen Wert zuzusprechen, beurteilt er die Frage bezogen auf andere Lebensformen oder Biotope anders.
Ladewig bezweifelt nicht, dass es aus menschlicher Perspektive (sekundäre) Gründe geben könne, Pflanzen oder Umweltmedien wie Flüssen und ganzen Ökosystemen subjektive Rechte zuzuschreiben. Er bestreitet aber, dass „sie die Voraussetzung für genuine subjektive Rechte im moralischen Sinne erfüllen.“
Als wertvollsten Vorschlag in der Literatur zu neuen Rechtssubjekten erwähnt er das Konzept der Stewardship. Solch menschliche Vormundschaft sei ggf. geeignet um die Natur vor Überlastung, Verarmung und Zerstörung zu schützen. Dafür sei es jedoch nicht erforderlich sich auf ein moralisches Eigenrecht der Natur zu berufen. Deren Ansprüche stünden auf einer anderen Stufe als die Ansprüche individueller Menschen und Tiere. Seiner Ansicht nach, liege die größte Gefahr darin, dass der angebliche Eigenwert der Natur eine Scheinrechtfertigung für eine Missachtung des tatsächlichen Eigenwertes individueller Eigenrechte von Tieren liefere, wie dies z.B. bei der ökologisch motivierten Jagd der Fall sei. Sie möge zwar als Ultima Ratio erlaubt sein, um das Leben anderer Subjekte moralischer Rechte zu erhalten. Aber wir sollten die Vorwände für sie nicht durch Erfindung neuer solcher Subjekte vermehren.
Andreas Buser und Prof. Hermann Ott
Andreas Buser, Habilitant am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der FU Berlin und Prof. Dr. Hermann Ott (Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde) und Vertreter des Deutschen Büros der Internationalen Umweltrechtsorganisation „Client Earth“ beschäftigen sich ganz konkret mit den Voraussetzungen und Problemen, der Institutionalisierung der Eigenrechte der Natur in Deutschland und liefern eine Vielzahl juristischer Gründe, die für Eigenrechte der Natur sprechen.
Zitat: „Aus unserer Sicht wesentlichste Folge der Anerkennung von Eigenrechten der Natur ist die Notwendigkeit der Berücksichtigung solcher Rechte durch Gesetzgebung und Verwaltungspraxis und die Umkehr der Rechtfertigungslast. Nicht der Schutz eines Ökosystems muss mehr nachgewiesen werden, sondern jeder Eingriff bedarf der Rechtfertigung. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Anerkennung von Rechten der Natur nicht zu einer Abwertung oder der Abschaffung menschlicher Rechte führt. Allerdings wird die Rechtfertigungslast ausgeglichen… Bisher wurde Umweltrecht überwiegend als ein Eingriff in wirtschaftliche Grundrechte verstanden, der rechtfertigungsbedürftig ist. Gesteht man ökologischen Entitäten eigene Rechte zu, wird plötzlich wirtschaftliche Betätigung, die die Umwelt belastet, rechtfertigungsbedürftig. Daraus folgt auch die Stärkung des Natur- und Umweltschutzes in Abwägungsprozessen mit anderen gesetzlich geschützten Rechten und Staatszielen.“ (S. 166)
Ganz konkret sehen die beiden Autoren – wie Prof. Lescano (Uni Bremen) und Prof. Kersten (LMU München) - Ansatzpunkte für eine Reform des Grundgesetzes im Sinne von Eigenrechten der Natur in einer Neuformulierung des Artikel 20 a GG in Verbindung mit § 19 III GG. Der Natur könne dort ein Recht auf Existenz und Schutz ihrer Funktionen und Lebenszyklen eingeräumt werden (S. 161 ff).
Für sie alle kommen vor allem Ökosysteme als Träger von Eigenrechten in Frage. Einklagen könnten diese Eigenrechte der Natur Einzelpersonen, Umweltverbände oder staatliche Stellen. Interessant ist ihr Vorschlag der Prozesskostenfinanzierung. Sie schlagen den Aufbau eines Fonds vor, der aus den Bußgeldern und Schadenersatzzahlungen gespeist wird, die von Gerichten im Namen der Natur verhängt werden (S. 163).
Zitat: „In Deutschland mag es den meisten Menschen esoterisch anmuten, Bäumen und Flüssen Rechte zuzuerkennen. Dagegen dürfte die Zuerkennung von Rechten für Nutztiere und Ökosysteme weit weniger Widerstand hervorrufen… Unser Vorschlag beruht auf einer Anerkennung der Rechte von Ökosystemen, mit einer Vertretung durch Naturrechtsbeauftragte in Anlehnung an den Datenschutzbeauftragten (S. 171)…. Eigene Rechte der Natur und die mit Natur und Tierrechten verbundenen Erweiterung von Klagebefugnissen könnten einen wichtigen Beitrag für einen Paradigmenwechsel leisten, wonach nicht mehr Umweltschutzregulierung rechtfertigungsbedürftig ist, sondern die Umwelt-Nutzung und -Zerstörung. Sie wären zudem ein Baustein für die neue Bestimmung unserer Stellung auf diesem Planeten: Nicht Herrscher zu sein, sondern Teil des Lebensgeflechts, der Biosphäre, mit einem vitalen Interesse am Wohlergehen aller anderen Geschöpfe auf der Erde (S. 171).“