Buchempfehlung: Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen
Von Carina Czupor
In poetischer Sprache führt die Autorin die Leser und Leserinnen in eine Welt, die von Dankbarkeit und Respekt gegenüber dem außer-menschlichen Leben geprägt ist. Sie beschreibt die Verflechtungen zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren und dem Land und das sich daraus ergebende Miteinander, welches auf Geben und Nehmen zwischen den Lebewesen beruht. Ihr erstes Essay beginnt mit dem Schöpfungsmythos. Eine Frau fällt vom Himmel und wird von den Tieren aufgefangen und gerettet. Da die Erde nur aus Meer besteht, beschließen die Tiere unter Einsatz ihres Lebens ein Festland für die Menschenfrau zu schaffen, damit diese leben kann. Die Frau bedankt sich, indem sie mitgebrachten Samen des Lebensbaumes aussät und durch Lieder und Tänze zum Leben erweckt. Im christlichen Schöpfungsmythos spielt eine Frau ebenfalls eine Rolle, aber eine andere…und es ergeht ein Auftrag an die Menschen, der sich bekanntermaßen tiefgreifend von dem indigenen Weltbild unterschiedet. Die Autorin vertieft die Gräben jedoch nicht, sondern sucht nach Ansätzen, diese zu überwinden. In weiteren Essays wird die Dankbarkeit für die Gaben der Natur entfaltet. Die Geschenke der Erde werden wahrgenommen und erfordern eine ehrenvolle Ernte, indem nie mehr genommen werden darf, als gebraucht wird und weitere Verhaltensnormen. Das tiefe Wissen der indigenen Vorfahren über die Pflanzenökologie wird von vielen wissenschaftlichen Forschungen bestätigt. Die Zerstörung der indigenen Völker, ihrer Kultur und ihres Naturverständnisses durch die europäischen Eroberer steht nicht im Mittelpunkt ihres Buches, doch unausweichlich wird das Thema berührt und der Schmerz über den Verlust erreicht auch die Leser und Leserinnen auf der anderen Seite des Ozeans. Eine große Rolle spielt die Sprache, mit der wir die Natur beschreiben. In der Sprache der Anishinaabe, zu der die Potawatomi zählen, ist eine Landschaft ein lebendiges Wesen, das sich wandeln kann, das so sein kann oder auch anders. Zur Benennung der lebendigen Welt werden Verben anstelle von Substantiven verwendet. „Eine Bucht“ wird in der Sprache der Anishinaabe mit „eine Bucht sein“ erfasst. Da die indigenen Sprachen ausgerottet und verboten wurden, lernt die Autorin erst als Erwachsene die Sprache ihrer Vorfahren kennen. Sie schildert die mühsame Wiederaneignung, doch vor allem den veränderten Blick auf die Welt, der sich durch die Sprache eröffnet. Den deutschen Lesern fallen vielleicht die Wortneuschöpfungen aus zusammengesetzten Substantiven in der deutschen Sprache ein, zum Beispiel rund um IT-Themen oder Corona. Es stellt sich die Frage, mit welchen neuen Wörtern und sprachlichen Weiterentwicklungen eigentlich versucht wird, die großen Zusammenhänge der Natur zu erfassen? Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Buch ein Augenöffner für eine vollkommen andere Beziehung zwischen Mensch und Natur ist. Die Autorin leitet von kleinsten Pflanzen zu großen Themen über; ihre Sprachkunst verbindet alles zu dem titelgebenden Zopf und wirkt lange nach.
Es wird auch deutlich, wie weit wir in Europa von einem solchen Miteinander entfernt sind und wie tief die Kolonialgeschichte die Werte und Normen über gelingende Kulturen bis heute geprägt hat. Wie kann sich der dringend benötigte Wertewandel bei uns verbreiten? Die Initiative „Rechte der Natur“ könnte eine Brücke sein und die verschiedenen Wertvorstellungen miteinander verbinden, eine Gleichberechtigung zwischen Mensch und Natur in die Rechtsordnungen einführen und damit auch eine Annäherung zwischen den Kulturen bewirken.
Robin Wall Kimmerer, „Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen“, aus dem Englischen von Elsbeth Ranke, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 461 Seiten, 24 Euro
Weitere Informationen über Robin Wall Kimmerer finden Sie hier:
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