Los Cedros Urteil: Eine weitere wichtige Präzisierung
Es gibt kein wohlerworbenes Recht auf Umweltschädigung
Das ecuadorianische Verfassung sieht vor, dass alle BürgerInnen gegen Grundgesetzverstöße relativ einfach vor Regionalgerichten klagen können. Das oberste Gericht hat anschließend die Möglichkeit Fälle an sich zu ziehen und zu verhandeln. Die Klage gegen die Genehmigung von Bergbau im Naturschutzgebiet Los Cedros war von ein lokalen Gericht mit der Begründung abgewiesen worden, dass die KlägerInnen nicht hinreichend begründen konnten, warum die Genehmigungen gegen die Verfassung verstoßen, zumal in der betreffenden Region keine indigenen Völker leben, deren Recht auf Anhörung verletzt worden wäre. Es kam zu einer öffentlichen Verhandlung (via Zoom), an der zahlreiche menschlichen VertreterInnen der Natur und Fachleute teilnahmen. BiologInnen stellten die Einzigartigkeit und Fragilität des Ökosystems in den Vordergrund.
Andreas Gutmann hebt in seiner Kommentierung lobend hervor, dass sich das Verfassungsgericht große Mühe gibt, die natürlichen Entitäten des Nebelwaldes sichtbar zu machen. In über vierzig Randnummern liefere das Gericht eine dichte Beschreibung des Nebelwaldes und schildert detailliert die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten, ihre Beziehungen und die Art ihrer Bedrohung. Das Urteil sei von einer großen Empathie mit den tierlichen und pflanzlichen BewohnerInnen, wie z.B. den Braunkopf-Klammeraffen oder seltenen Orchideenarten geprägt. Die Natur wird nicht als abstrakte Größe verhandelt.
Der Aspekt des Vertrauensschutzes, der von den Befürwortern der Bergbauvorhaben betont wurde, wurde von dem Gericht abgewiesen. Das Gericht stellt vielmehr klar, dass es kein wohlerworbenes Recht auf Umweltschädigung geben könne.
Die Rechte der Natur, die sich aus dem oben zitierten Artikel 71 ableiten ließen, beruhten auf einer systemischen Perspektive und schützen „Lebenssysteme“. Das Gericht betont den ökosystemaren Ansatz der Verfassung, der Gruppen von Organismen in ihren spezifischen Interaktionen schützt. Bereits in der Vergangenheit habe das Gericht ähnlich ökosystemare Auslegungen des Naturbegriffes vorgenommen, aber noch nicht in dieser Tiefe. Das Urteil zu Los Cedros, so Gutmann, könne als Präzedenzfall gelten.
Gutmann weist auch darauf hin, dass es in dem Urteil keine Verweise auf indigene Wissensformen und Praktiken gebe. Pacha Mama würde in dem Urteil nicht hervorgehoben. Ob das Gericht in Zukunft dem indigenen Verständnis von Natur mehr Aufmerksamkeit schenken werde, müsse abgewartet werden.
Das Urteil identifiziert zwei materielle Rechte der Natur: Das Existenzrecht der im Nebelwald lebenden Tier- und Pflanzenarten und das Recht der betroffenen Ökosysteme, seine Zyklen, Struktur Funktionen und Lebensprozesse aufrechtzuerhalten.
In Bezug auf die Rechte der Tiere und Pflanzen enthalte das Urteil daher wichtige Konkretisierungen: Der Artikel 71 der Verfassung spreche nur ganz allgemein vom Existenzrecht der Natur oder Pacha Mama. Da die Existenz der Natur als solcher aber strenggenommen nicht bedroht sein kann, da die Natur auch nach der schlimmsten Zerstörung der Umwelt noch existiere, könnes es logischer Weise nur darum gehen, die Natur in ihrer konkreten Form zu schützen und daraus Existenzrechte für einzelne Spezies abzuleiten.
Das Urteil betont, dass die konkrete zu schützende Natur ein Ergebnis der Evolution ist. Das Aussterben von Spezies bedeute daher notwendigerweise eine endgültige Veränderung der natürlichen Zyklen. Die Verfassungsrichter rügen, dass in den vorgelagerten Verfahren das Prinzip der Vorsorge von den Gerichten nicht beachtet worden war. Und es mahnt die Unterscheidung zwischen Vorbeugung und Vorsicht an.
Das Prinzip der Vorbeugung greife, wenn wissenschaftliche Ungewissheiten existierten, während das Prinzip der Vorsicht anzuwenden sei, wenn ein schwerwiegender Schaden nicht ausgeschlossen werden könne. Das Verfassungsgericht stellte außerdem erstmals klar, dass jede Tätigkeit, die zum Aussterben einer Art führe, eine Verletzung der Rechte der Natur darstelle und führt aus, dass die Verfassung den Menschen als Teil der Natur sehe. Die Rechte der Natur beinhalteten daher zwingend auch die Rechte der Menschen auf Existenz.
Das Gerichtsurteil beschäftigt sich ausführlich mit der Rolle der Wasserkreisläufe für den Erhalt der Ökosysteme und die Menschen. Es stellt aber auch klar, dass die Natur um ihrer selbst willen und auch unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen zu schützen ist.
Das Gericht rügt in seinem Urteil das Regionalgericht dafür, dass es eine Anhörung der indigenen Bevölkerung für nicht notwendig hielt und stellt klar, dass eine Anhörung immer zwingend erforderlich sei. Außerdem detailliert es, wie eine Anhörung zu den Folgen für Natur und Umwelt auszusehen habe. Der Artikel 71 verpflichte den Staat darüber hinaus ,BürgerInnen zu unterstützen bei ihren Bemühungen die Natur zu schützen.
Dr. Andreas Gutmann hält es nicht für erstaunlich, dass dieses Grundsatzurteil in Sachen Rechte der Natur zu einem Bergbauvorhaben gesprochen wurde. Denn die Sprengkraft die Konflikte um Bergbauprojekte in Ecuador haben eine große politische und ökologische Sprengkraft. Die negativen Erfahrungen mit Bergbau-Projekten und der Wunsch nach einer Abkehr vom neo-extraktivistischen Wirtschaftsmodell, seien von Anfang an eine der Triebfedern für die Aufnahme der Rechte der Natur in die Ecuadorianische Verfassung gewesen.
Das Gericht widerspricht außerdem der Annahme, dass nur die in Artikel 407 aufgezählten Gebiete „unberührbar“ seien. Der Umkehrschluss dass deshalb in allen anderen Gebieten, Bergbauprojekte zulässig seien, sei falsch.
Quelle: Kritische Justiz, Vierteljahreszeitschrift für Recht und Politik, Heft 1 2022 Jahrgang 55 S 27 – 42.